Siegfried Zoels ist heute 80 Jahre alt geworden. Meinen Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag

22.03.21 –

Lieber Siegfried, herzliche Glückwünsche zum 80.

In normalen Zeiten würde ich Dir persönlich mit Handschlag und Blumenstrauß gratulieren, so wie das gemeinhin üblich ist und vielleicht würden wir Torte essen bei „Fördern durch Spielmittel“ oder irgendwo sonst. Gerne auch anstoßen mit einem Glas Rotwein oder Sekt. Und vielleicht würde ich ein paar Worte über die letzten 30 Jahre sagen, die wir uns jetzt kennen. Oder Du würdest ein paar Geschichten aus Deinem Leben erzählen, z.B. die vom 17. Juni 1953, wo Du als Zwölfjähriger am Alexanderplatz den Volksaufstand und die Arbeiterproteste, die von Polizei und Sowjetsoldaten blutig niedergeschlagen wurden, miterlebt hast. Verdammt lang her.

Wir haben uns 1990 kennen gelernt, als die Bürgerbewegungen und neuen Parteien in Prenzlauer Berg in der Dimitroffstraße 81 Büros und Versammlungsräume erhielten und einen gemeinsamen, von der Alternativen Liste aus Westberlin gestifteten Kopierer benutzen konnten.

Du warst Mitglied des im September 89 gegründeten Neuen Forum und ich in der jungen Grünen Partei der DDR. Nach der Kommunalwahl vom Mai bildeten wir eine gemeinsame Fraktion in der Stadtbezirksversammlung. Unsere Fraktion hatte einen Bandwurmnamen: Bündnis 90/UfV/Grüne Liste oder so. Später wurde auch noch Neues Forum dran gehängt, weil einige nicht als Bündnis 90 laufen wollten. Bewegte Zeiten waren das.

Wir bildeten eine Koalition mit der SPD und erhielten zwei Stadtratspositionen. Du wurdest Stellvertretender Bürgermeister und Stadtrat für Familie, Jugend und Sport. Besonders der Aufbau neuer Jugendhilfe-Strukturen, die Einbindung der Arbeit freier Träger und die Schaffung neuer Kinder- und Jugendeinrichtungen war Deine Aufgabe. Und es war eine wichtige. Aber es gab auch viel Neuland. Ich kann mich erinnern, dass Du besonders auch den abenteuerlichen Bauspielplatz Kolle37 begleitet hast. In einer BVV-Tagung kam die besorgte Anfrage, ob es überhaupt zulässig wäre, dass Kinder mit Brettern, Nägeln und Hämmern hantieren würden. Das sei doch viel zu gefährlich. Darauf hast Du ein wenig verschmitzt, aber auch triumphierend irgendeine Verwaltungsvorschrift ausgegraben und vorgelesen, dass auf Bauspielplätzen ein eingeschränkter Arbeitsschutz gilt und das Reinklopfen von Nägeln in alte Bretter ja gerade ein besonderes pädagogisches Ziel wäre.

Weil die Wahlperiode verkürzt wurde, war es mit dem Stadtratswesen für Dich 1992 leider schon wieder vorbei. Danach waren wir gemeinsam in einer Fraktion in der BVV. Ich wurde Vorsitzender. Ende 1993 hast Du mich gefragt, ob ich für die Robert-Havemann-Gesellschaft arbeiten und die Geschäftsführung übernehmen würde. Dort warst Du Vorstand und ich kurz darauf Dein Mitarbeiter. So entstand die kuriose Situation, dass Du tagsüber mein Chef als Vorstand der Robert-Havemann-Gesellschaft warst, ich aber nach Feierabend Dein Vorsitzender. So etwas geht, wenn Menschen sich verstehen und respektieren.

Die Robert-Havemann-Gesellschaft hat sehr erfolgreich das Archiv der DDR-Opposition in der Schliemannstraße aufgebaut. Mittlerweile ist es in die Ruschestraße umgezogen. Dass der Ruf dieser Institution nicht nur in der Aufarbeitungsszene herausragend ist, sondern auch darüber hinaus als Partnerin für Wissenschaft, Bildung und Medien, ist nicht nur den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu verdanken, sondern auch Dir. Du und die wechselnden anderen ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder hatten nicht nur die Verantwortung für Finanzen und Personal, sondern waren auch immer zur Stelle, wenn es wieder einmal ganz schwierig wurde.

Weil Du die Tradition der Runden Tische nicht nur von Anfang an mitgemacht , sondern auch verinnerlicht hattest, warst Du sehr gerne Co-Moderator am Runden Tisch Instandbesetzung Prenzlauer Berg. Ich war gelegentlich dabei, wenn es darum ging, die verschiedenen Welten von jugendlichen Hausbesetzern und den Eigentümern ebendieser Häuser überhaupt irgendwie in Annäherung zu bringen. Eine schwere Aufgabe, für die neben Pfarrer Winkler auch Du größte Geduld aufbrachtest. Daran denke ich z.B., wenn ich an der Kastanienallee 77 vorbei komme. Das Haus stand leer, wurde 1992 von einer Künstlergruppe besetzt und ist bis heute ein selbstverwaltetes Wohnprojekt. Zusätzlich ist das Kino Lichtblick dort gelandet. Von solchen Erfolgsprojekten gibt es mehrere. Jedes von Ihnen wurde erkämpft und durch die Arbeit des Runden Tisches legalisiert und transformiert. Ein gutes Modell. Wir hätten viele soziale Sorgen um Wohnen und Mieten heute im Bezirk nicht, wenn dieses Modell massenhaft umgesetzt worden wäre.

Lieber Siegfried, neben den erwähnten „Baustellen“ ist Dein eigentliches Lebenswerk aber der Verein „Fördern durch Spielmittel“. Als Kultur- und Kunstmensch hast Du bei diesem Projekt Kreativität mit der praktischen Gesellschaftsaufgabe der Integration, besser Inklusion von Menschen mit Behinderungen vereint. Mit großer Begeisterung höre ich die Berichte von den Kreativitätsworkshops, die Ihr in aller Welt organisiert habt. Meine Tochter Tabea, die herzlich grüßen lässt, hat heute noch einen Drachen aus Papier, der mit Hilfe eines Gummibandes irgendwie aufgezogen wird und sich wackelnd fortbewegt. Ein Geschenk von Dir, möglicherweise von einem Projekt aus Indien. Fördern durch Spielmittel ist gerade 30 geworden und hat eine wechselvolle Geschichte. Die Kreativitätsworkshops, die Ludothek, Schneiderei, Tischlerei, mittlerweile die Arbeit in Gefängnissen. Ich bin da nur Beobachter aus der Ferne. Vor allem aber bin ich Bewunderer, wenn ich überlege, dass es all das ohne Deine Aktivität, Deine Ideen, Deine Beharrlichkeit und Deinen Optimismus kaum geben würde.

Ich denke, Du hast noch einiges vor und wünsche Dir alles erdenklich Gute.

Mit besten Grüßen

Andreas
Berlin, den 22.3 2021

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