Blindes Vertrauen statt angemessener Kontrolle?

Andreas Otto (GRÜNE):
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich frage den Senat:
1. Wie oft haben der Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft und der Projektausschuss des Aufsichtsrates im Jahr 2010 und im Jahr 2011 getagt, und wie oft hat der Aufsichtsratsvorsitzende an diesen Sitzungen teilgenommen?
2. Welche organisatorischen Maßnahmen und welche Strukturen hat der Aufsichtsrat nach der Verschiebung des Eröffnungstermins 30. Oktober 2011 im Jahr 2010 zur Verstärkung des Controllings und Risi-komanagements eingeleitet bzw. installiert, um eine angemessene Kontrolle des Projektfortschritts auch unabhängig von dem Vorstand bzw. der Geschäftsführung zu gewährleisten?

Präsident Ralf Wieland:
Vielen Dank! – Es antwortet der Regierende Bürgermeister. – Bitte schön!


Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit:
Herr Präsident! Herr Otto! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Frage 1: Damit Sie einen Eindruck erhalten, wie die Flughafengesellschaft durch die Aufsichtsorgane kontrolliert wird, möchte ich Ihnen die Abläufe der diesbezüglichen Gremiensitzungen verdeutlichen. Nachdem die Geschäftsführung der Flughafengesellschaft die Aufsichtsratsunterlagen an die Aufsichtsratsmitglieder übersandt hat, findet eine sog. Referentinnen- und Referentenrunde statt, in der die Unterlagen intensiv besprochen werden. Hierzu müssen Sie wissen, dass die jeweiligen Aufsichtsräte der Anteilseignerseite jeweils eine Referentin oder einen Referenten mit der Vorbereitung der Aufsichtsratssitzung betraut haben.
Im Ergebnis dieser Referentinnen- und Referentenrunde findet eine Unterrichtung der jeweiligen Aufsichtsräte über die Schwerpunkte der Sitzung, besondere Problemlagen etc. statt. Anschließend trifft sich der Projektausschuss im kleineren Kreis, in dem die Mitlieder des Aufsichtsrates spezielle Themen erörtern, die mit dem Bau und der Fertigstellung des Flughafens BER Willy Brandt zu tun haben. Der Projektausschuss wird von Brandenburger Seite, von Herrn Minister Christoffers, geleitet. Dieser Projektausschuss hat am 11. Juni 2010, am 10. September 2010 und am 3. Dezember 2010 getagt, wobei die Juni-Sitzung des Projektausschusses auf der Baustelle stattfand. Am 1. April 2011 tagte der Projektausschuss im Tower der Deutschen Flugsicherung und am 16. Juni 2011 im Konferenzzentrum der Flughafengesellschaft. An all diesen Sitzungen habe ich auch persönlich teilgenommen.
Ferner findet in Vorbereitung der Aufsichtsratssitzungen der Finanzausschuss statt. In diesem Gremium ist Berlin auf Staatssekretärsebene durch die Finanzverwaltung vertreten. Dort werden insbesondere die finanziellen Aspekte, aber auch insgesamt der Controllingbericht einer näheren Prüfung unterzogen. Unmittelbar vor der Aufsichtsratssitzung findet ein internes Gespräch der Vertreter der Gesellschafter, das sog. Anteilseignervorgespräch, statt. Die Arbeitnehmerseite trifft sich auch zu ihren internen Beratungen.
An dieses Anteilseignervorgespräch schließt sich die eigentliche Aufsichtsratssitzung an. Aufsichtsratssitzungen fanden im Jahr 2010 am 26. März, am 25. Juni, am 17. September und am 8. Dezember statt, wobei die Dezember-Sitzung eine sog. Klausurtagung ist, in der alle einzelnen Bereichsleiter dem Aufsichtsrat ihren Projekt-bereich in seinem Fertigstellungsstand umfassend darstellen. An all diesen Sitzungen des Aufsichtsrates im Jahr 2010 habe ich als Aufsichtsratsvorsitzender auch teilgenommen.
Weitere Aufsichtsratssitzungen fanden im Jahr 2011 am 8. April, am 26. Juni, am 21. Oktober und am 9. Dezember statt, wobei die Juni-Sitzung eine Inaugenscheinnahme der Baustelle einschloss und die Dezember-Sitzung wieder in Form einer Klausurtagung stattfand. An all diesen Aufsichtsratssitzungen im Jahr 2011 habe ich als Aufsichtsratsvorsitzender ebenfalls teilgenommen.
Zu meinen Aufgaben als Aufsichtsratsvorsitzender gehört auch die Teilnahme an der Sitzung des Präsidialausschusses des Aufsichtsrates der FBB. Sie wird von mir geleitet. Der Präsidialausschuss bereitet insbesondere Personalent-scheidungen und andere Unternehmensentscheidungen vor. Der Präsidialausschuss tagte am 26. März 2010, am 25. Juni 2010, am 17. September 2010 sowie am 8. Dezember 2010. Auch bei diesen Sitzungen war ich als Vorsitzender des Präsidialausschusses anwesend. Glei-ches gilt für die Sitzungen des Präsidialausschusses im Jahre 2011, die am 8. April, am 24. Juni und am 21. Oktober stattfanden.
Darüber hinaus ist der Aufsichtsratsvorsitzende der Flughafengesellschaft zugleich auch Vorsitzender der Gesellschafterversammlung, in der die Vertreter der Gesellschafter über die ihnen laut Satzung der Flughafengesellschaft zuständigen Bereiche entscheiden. Diese Gesellischafterversammlungen haben am 26. März 2010, am 6. Mai 2010, am 25. Juni 2010, am 25. Oktober 2010 und am 20. Dezember 2010 sowie am 8. März 2011, am 25. März 2011, am 22. Juni 2011, am 4. Juli 2011, am 17. November 2011 und am 9. Dezember 2011 stattge-funden. An all diesen Terminen habe ich auch teilgenommen.
Für jede große Gesellschaft ist der Jahresabschluss, der durch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft attestiert werden muss, eine wichtige Angelegenheit. Daher war es für mich folgerichtig, noch vor der entsprechenden Sitzung des Aufsichtsrats in einem gesonderten Termin mit den Wirtschaftsprüfern deren Einschätzungen und Ergebnisse zu erfahren. Wie Sie wissen, haben wir von Anfang an darauf gesetzt, bei der Vielzahl von zu tätigenden Vorgaben eine unabhängige Kontrollinstanz mit einer stichprobenartigen Überprüfung dieser Vergaben zu beauftragen. Uns ist es in diesem Zusammenhang gelungen, Transparency International für diese Aufgabe zu gewinnen. Vierteljährlich habe ich mich über die Prüfungsergebnisse von Transparency International unterrichten lassen. Wir werden insgesamt die umfangreiche Aufsichtsratstätigkeit natürlich weiter wahrnehmen. Sie können sicher sein, dass zur Vorbereitung der Aufsichtsratssitzungen auch Gespräche des Aufsichtsratsvorsitzenden mit der Geschäftsführung stattgefunden haben. Darüber hinaus haben die Gesellschafter einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass in den Problembereichen noch extra Gremien geschaffen worden sind, sogenannte Task-Forces, wo Vertreter der Gesellschafter und der entsprechenden Behörden oder der Bahn versucht haben, besondere Problemlagen zu lösen, beispielsweise als es um die Ostanbindung ging, die Zubringersituation, als die Dresdner Bahn nicht fertig wurde. Das galt auch für den Bau des Bahnhofs unterhalb des Terminals, damit der Bau überhaupt Fortschritte machen konnte. Das galt natürlich auch bei den Alternativen zu Nichtfertigstellung der Entrauchungsanlage. Da ist hauptsächlich von Brandenburger Seite mit einer unterstützenden Maßnahme begleitet worden.


Zu Frage 2: Nach der Verschiebung des Öffnungstermins im Jahr 2010 wurde entschieden, die interne Expertise bei der Flughafengesellschaft durch die Einbindung externer Experten zu verstärken. Hierzu konnten folgende Experten gewonnen werden: Dr. Michael Fretter, vereidigter Sachverständiger für Bauablaufstörungen und Kosten, Beratungsunternehmen Bau UP Unternehmens- und Projektberatung GmbH, Büro Oldenburg, Prof. Dr. Franz Diemand, Berater, Controlling und Berichtswesen. Die Aufgaben dieser externen Berater waren Überprüfung der Organisationsstruktur des Projektmanagements, Überprüfung des Berichtswesens, Überprüfung der Qualität der Abstimmungsrunden, Überprüfung der Prognose BBI Invest-Controlling-Bericht, Überprüfung des Rahmenterminplans.
Selbstverständlich ist nach der Verschiebung, die durch die Insolvenz der einen Planungsgruppe notwendig war, und dem zusätzlichen Maßnahmenbereich der Sicherheitskontrollen die Frage, ob wir bei den Planungen im Zeitplan sind, immer wieder ein Schwerpunkt der Bera-tungen im Aufsichtsrat gewesen.
Präsident Ralf Wieland:
Vielen Dank! – Kollege Otto! Haben Sie eine Nachfrage? – Bitte schön!

Andreas Otto (GRÜNE):
Vielen Dank für die Antwort, Herr Regierender Bürger-meister! Angesichts Ihres ausführlichen Vortrags und der doch sehr interessanten und vielfältigen Strukturen drängt sich natürlich sofort die Frage auf: Wenn es diese Strukturen gab, haben sie versagt? Oder weshalb ist vier Wo-chen vor der Eröffnung der Termin 3. Juni abgesagt worden?


Präsident Ralf Wieland:
Bitte schön, Herr Regierender Bürgermeister!

Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit:
Herr Präsident! Herr Abgeordneter Otto! Natürlich ist diese Frage eine, die sich aufdrängt. Selbstverständlich hat der Aufsichtsrat auch in seiner letzten Sitzung mit allen Beteiligten die Fragen erörtert. Nur müssen wir sehen, welche Aufgaben ein Aufsichtsrat hat, welche Möglichkeiten er hat und was die Aufgaben einer Geschäftsführung sind. Bei aller Kritik von Seiten der Opposition – das ist Ihr legitimes Recht –


[Özcan Mutlu (GRÜNE): Das ist unsere Aufgabe!]


und dem Versuch, politische Verantwortlichkeiten in erster Linie aufzumachen, freue ich mich auch immer darüber, wenn jetzt die Forderungen von vielen Seiten kommen, da sollten nur noch sogenannte Bauexperten in solche Aufsichtsräte hineingehen.


[Harald Moritz (GRÜNE): Das ist Aufgabe der Geschäftsführer!]


Es gibt einen bunten Strauß von Empfehlungen, wie jetzt ein solcher Aufsichtsrat besetzt werden solle. Ich sage, wir müssen höllisch aufpassen, dass hier nicht die Ver-antwortlichkeiten durcheinandergebracht und dass nicht Erwartungen in einen Aufsichtsrat hineininterpretiert werden, die ein Aufsichtsrat nicht erfüllen kann. Ich sage Ihnen, wenn die Geschäftsführung glaubhaft sagt – das haben Sie selbst erlebt, auch im Verkehrsausschuss oder auch in den anderen Zuständigkeitsbereichen –, dass sie zwar von den Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der hundertprozentigen maschinellen Herstellung der Entrau-chungsanlage wusste und dass sie nach Plan B gesucht habe und Plan B beschritten wurde, um eine Alternative zu finden; wenn sich erst in dem Zeitraum Anfang Mai der Weg als nicht begehbar herausstellt, an dem alle gearbeitet haben, damit dies möglich ist, und die Erkenntnisstände der Geschäftsführer da sind, dann können Sie auch nicht erwarten, dass der Aufsichtsrat einen anderen Erkenntnisstand hat. Das ist nicht machbar.


[Zuruf von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]


Insofern ist die kritische Überprüfung der Prozesse durchaus selbstverständlich und von uns in vielen Stunden diskutiert worden. Von den 15 Mitgliedern des Aufsichtsrats, inklusive der Beschäftigtenvertreter, die in vielen Fragen sehr nah am Betrieb sind, weil sie da arbei-ten und dabei sind und selbstverständlich aus vielerlei Gründen die Interessen der Beschäftigten dort wahrnehmen, werden Sie nicht einen finden, der Ihnen etwas anderes sagt, als dass bis zu dem 20. April, wo wir Aufsichtsratssitzung hatten, und darüber hinaus der Kenntnisstand da war, dass hier tatsächlich der 3. Juni zu halten ist. Und es hat dazu kritische Nachfragen gegeben. Dann ist von einem Aufsichtsrat auch nicht zu erwarten, dass er das einfach konterkariert, ignoriert oder sonst was macht.
[Benedikt Lux (GRÜNE): Natürlich haben Sie da mehr Pflichten!]
Ich bitte, damit vorsichtig umzugehen.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Unglaublich!]


Ich glaube, dass der Aufsichtsrat in Gänze hier seiner Verantwortung gerecht geworden ist.


[Harald Moritz (GRÜNE): Da sind Sie der Einzige, der das glaubt!]

>> Plenarprotokoll 17/14

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