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Von Dennis Probst
Zwei Tage vor dem 24. Jahrestag der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl ergriffen auch aus Pankow zwei Busse voller Anti-Atom-Aktivisten die Gelegenheit, an der von Andreas Otto (MdA) organisierten Fahrt teilzunehmen und sich in die Menschenkette einzureihen. Darunter neben Bündnisgrünen aus Fraktion, Vorstand sowie Kreisverband auch aktive Bürgerinnen und Bürger. Gemeinsames Ziel war Pinneberg bei Hamburg.
Los ging es kurz nach acht. Abfahrt: Schönhauser Allee. Höhepunkt der vierstündigen Hinfahrt war die Pause. Morgens um zehn in Deutschland. Ein Téte-à-téte der Bündnisgrünen auf der Rastanlage Gudow. „Ach, Du auch?“, „Oh, sag mal, gut, dass ich dich treffe!“, „Was ist eigentlich daraus geworden?“, waren nur einige der Gesprächsschnipsel, die man auf dem Weg zum „Versorgungszentrum“ beim Durchqueren der sich umarmenden und sich begrüßenden Ansammlung auffing. Hätte eigentlich nur noch gefehlt, dass die Sambagruppe Green Igelz die morgendliche Müdigkeit überwindet und ihre Rhythmen erklingen läßt. Potenzielle Rednerinnen wären mit Renate Künast und Steffi Lemke auch vor Ort gewesen. Das Ganze hätte also auch hier starten können. Zumindest konnte das Anstehen vor dem Kaffeeautomaten und den Toiletten als ersten Testlauf für die heutige Menschenkette umgedeutet werden. Nur ohne Anfassen halt. Beseelt durch dieses Happening ging es weiter in Richtung Hamburg. Die aufgehende Sonne im Rücken.
Ankunft. Mit zwei Bussen ist Pinnebergs Verkehrsaorta innerhalb kürzester Zeit verstopft und erheblich beeinträchtigt. Das Chaos lässt sich jedoch mit herkömmlichen Hausmitteln rasch beseitigen. Zwei in freundlichem Dunkelblau gekleidete Herren beeilten sich schnellstmöglich, uns den nötigen Raum zu verschaffen, den wir so als 90-köpfige Protestgruppe zum Agieren braucht. Nach einem herzlichen Empfang durch die Pinneberger Grünen vor der Geschäftsstelle und kurzen Instruktionen zum Ablauf blieb genug Zeit, im nahegelegen Park nebst Sonne die vortags zubereitete Bohnensuppe zu genießen. Untermalt wurde die Szene duch Musik von der ortsansässigen Orgelpunk-Band „Mindsweeper“, was dem Ganzen zeitweilig die Atmosphäre einer Mini-Miniaturausgabe von Rock im Park gab. Für Zuwachs aus der Pinneberger Anwohnerschaft sorgte dann noch Andreas Otto mit einer Rede, die er zwischen zwei Straßenkampf-tauglichen Songs hielt.
Ausgeruht, gut genährt und mit reichlich Sonnenschein beladen erhob sich der ganze Park kurz vor zwei Uhr, um den Streckenabschnitt zu füllen. Geschlossen ging es zunächst Richtung Ortsausgang. Dabei machte sich das Gefühl breit, bis Hamburg weiterlaufen zu können. Diese Energie war auch noch zu spüren, nachdem sich die Menschen entlang der Strecke verteilt hatten. Ein Ruf von links: „Hier ist noch eine Lücke!“, schon bewegten sich Teile der Menschenkette in diese Richtung. „Wir müssen noch ein bisschen ortsauswärts!“. Pullover raus, Banner entfaltet. Kettenstretching. Gut beraten war, wer seinen Nachbarn oder seine Nachbarin nicht losließ. Einzelglied ohne Kettenanschluss war zwischenzeitlich kein seltenes Schicksal. Apropos Nachbarn. Kurz vorm zeitlichen Zielpunkt öffneten sich einige Haustüren der umliegenden Häuser. Heraus traten unter anderem ganze Familien. So wurden dann auch die letzten Lücken geschlossen.
„Ein bisschen fühle ich mich wie ein Baum im Walde.“, so eine Teilnehmerin. Steht die Kette? Ein Blick nach rechts, ein Blick nach links. Da ist Kette. Ja. Aber hat es gereicht? Kurz vor drei kam dann die erlösende Nachricht: „Die Kette steht!“. 240.000 Hände konnten ihre Stretching-Übungen beenden. Was über eine Stunde getrennt war, vereinigte sich, begleitet von Gejohle, Trillerpfeifen und „Abschalten! Abschalten!“-Rufen, in klatschenden Rhythmen oder reckte sich freudig gen Himmel.
Nach einem kurzen Foto-Shooting vor der Geschäftsstelle und der üblichen „Wir sehen uns bestimmt bald wieder!“-Verabschiedungsrhetorik (Immerhin fange Pinneberg ja ebenfalls mit P an, wie Pankow! Und einen Berg hätten wir ja schließlich auch, den Prenzlauer!) peilte unsere Gruppe ihr nächstes Reiseziel an – den Buttermarkt in Elmshorn. Dort fand eine der abschließenden Kundgebungen statt. Hier hieß es, die verbliebene halbe Stunde Aufenthalt vor Abfahrt effektiv zu nutzen. Kaum aus dem Bus ausgestiegen, verteilten sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen auf dem Gelände. Bier trinken, Musik hören, Reden lauschen, Menschen gucken. Und immerhin ist ja ein Dixi-Häuschen ein bisschen größer als eine Bus-Toilette. Grüne Fahnen, rote Fahnen, blaue Fahnen, gelbe Fahnen. Und alle zusammen.
Vor dieser Kulisse forderte dann Sigmar Gabriel auch den Schulterschluss der Ausstiegsmacher und setzte damit fort, was Renate Künast, Jürgen Trittin und der SPD-Vorsitzende bereits während der Aktion in Richtung Nordrhein-Westfalen kommuniziert haben: rot-grün Hand in Hand.
Pinneberg scheint übrigens immer eine Reise wert zu sein. Das fanden zumindest drei Mitreisende und entschlossen sich kurzerhand den Nachmittag dort zu verweilen. Was die drei dabei erlebt haben und ob sie die Gelegenheit zum Einkaufsbummel in Pinneberg nutzen konnten, steht auf einem anderen Blatt.
Anstelle eines Schlusssatzes ein Zitat aus dem Lied „Marion aus Pinneberg“ von Marius Müller-Westernhagen:
Wochenende, kleines Glück,
Montag in den Trott zurück,
Wochenende, große Schau,
Montag, Dein Gesicht ist grau.
Muss ja nicht so sein. Auch Stimmung kann nachhaltig sein. Schließlich stecken im Wort Protestpotenzial schon zwei Ps. Eins mehr als in Pinneberg.
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